Bewegung mit Übergewicht

Was ist das Richtige für Übergewichtige und Einsteiger? Was machen viele falsch und wie startet man richtig?
Autor: Dr. Volker Zitzmann
Lesezeit: 4 Minuten
Bei Übergewicht wird immer „Sport“ empfohlen. Theoretisch ist diese häufige Empfehlung sicherlich richtig. Aber praktisch leider vollkommen unbrauchbar. Da sitzen Sie, unsere Patienten, vor uns. Mit sagen wir 130 kg Körpergewicht, noch nie irgendwas mit Sport zu tun gehabt und dann sagen die Hausärzte oder Kardiologen u. a.: „Sie müssen Sport treiben“. Diese Aussage würde ich fast schon als Kunstfehler bezeichnen. Trotzdem, Alltag bei meinen Kolleginnen und Kollegen in der täglichen Praxis. Es ist zwar gut gemeint. Aber wie gesagt, leider vollkommener Unfug.
Schön hat das Prof. Dr. med. Martin Halle, Leiter des Zentrums für Prävention und Sportmedizin der TU München auf einer Fortbildung mal geschildert, darf ich grob zitieren?
„Da sitzt Lieschen Müller, 63 Jahre, 120 Kilo, in der Praxis beim Arzt mit den typischen Beschwerden: Bluthochdruck, Fettleber/Hypercholesterinämie/Diabetes, Gicht, Gelenkbeschwerden, allgemeine Erschöpfung, Müdigkeit, Kopfschmerzen, Rückenschmerzen u.s.w.. Was der typische deutsche Patient halt so hat. Gegen all das hilft bewiesenermaßen Sport. Studien beweisen das. Die Wissenschaft dazu ist eindeutig. Was macht also der brave Arzt nach allen Regeln der Kunst? Er schickt Lieschen Müller mal in eine Sportgruppe. Da geht dann Lieschen Müller auch brav hin. Und dort wartet schon Jenny, die Trainerin, hoch motiviert mit ein paar Walking-Stöcken auf Ihre neuen Teilnehmer. Gibt jedem ein paar Stöcke in die Hand und sagt: „so, zum Anfang gehen wir einmal ganz entspannt 15 Minuten in die eine Richtung und dann wieder zurück.“ Nette Idee. Aber Lieschen Müller wird leider niemals am Startpunkt wieder ankommen. Denn Lieschen Müller wird beim Gehen schon nach 5 Minuten im anaeroben Bereich sein, hechelnd, völlig außer Atem und am Ende Ihrer Kräfte. Sie wird sich auf eine Bank setzen, ausruhen und dann langsam irgendwie nach Hause fahren, mit dem Taxi oder dem Bus. Und ganz sicher, nie und nimmer ein zweites Mal zu Jenny in die Sportgruppe kommen. Sie wird zu Hause demotiviert sitzen und sich sagen, „Sport ist halt nichts für mich. Da kann man nichts machen. Da behalte ich lieber meine Erkrankungen. Alles besser als diese Gruppe“. “
Wo ist der Fehler? Lieschen Müller hat noch nie Sport gemacht, geschweige denn regelmäßige Bewegung. Würde man Lieschen Müller einer Laktat-Leistungsdiagnostik auf dem Laufband unterziehen, würde man sehen, dass schon der Ruhezustand für Lieschen Müller anstrengender ist, als 8 km/h Joggen eines erfahrenen Sportlers. Lieschens Laktat würde bei 2 km/h Gehgeschwindigkeit schon langsam ansteigen und bei langsamen Gehen von 4 km/h schon über die Laktatschwelle in den anaeroben Bereich rutschen. Bei den 6km/h in der Walking-Gruppe von Jenny, würde Lieschen schon hoch im anaeroben Bereich, bei einem Laktat von 4 mmol/l sein. Also völlig außer Atem, im hohen Laktatbereich, völlig übersäuert. Das macht Übelkeit, Muskelschmerzen und zwingt einen die Aktivität zu beenden. Das Unwohlsein durch den hohen Laktatspiegel macht einem das ganze zum Garaus und sicherlich eine Abneigung gegen jede Wiederholung der Sache. Die gutgemeinte Idee vom Arzt, Lieschen Müller ein bisschen sportlicher, fitter und gesünder zu machen ist leider vollkommen in die Hose gegangen.
Kein Sonderfall, sondern Alltag in deutschen Arztpraxen. Leider wurde so wieder mal keinem geholfen.
Es gibt einen guten Grund, warum wir hier immer von „Bewegung“ sprechen und nie von „Sport“. Viele Lieschen Müllers, haben so ein Erlebnis hinter sich und verbinden mit Sport etwas Unmögliches, etwas Unerreichbares, Übelkeit, Schmerzen und eine extreme Abneigung dagegen. Zurecht.
Lösung: Eine der aktuellen Leistungsfähigkeit angepasste körperliche BEWEGUNG.
  • Gaaanz laaangsam anfangen: die ersten 3 Wochen täglich 5 Minuten Bewegungskurse, z. B.
    Give me Five
    Rückentraining.
  • Nach 3 Wochen langsame Steigerung, z.B. zwei mal pro Woche zusätzlich einen längeren Kurs dazu:
    Forever young
  • Alle 3 Wochen eine leichte Steigerung: anstatt 5 Minuten, dann mal 7 Minuten pro Tag.
  • Nicht täglich steigern, sondern erst, wenn das tägliche Training zu leicht wird. Üblicherweise alle 3 Wochen jeweils eine kleine Steigerung einbauen.
  • Große Erfolge stellen sich bekanntermaßen immer nach 6 Wochen und dann nach 6 Monaten ein. Also nicht zu schnell zu viel machen. Aber dafür konstant. Täglich!!!!
Wer dann noch Lust darauf hat, kann nach 6 Monaten mal in Jenny´s Walking-Gruppe gehen. 😊
Viel Erfolg beim Bewegen. Bewegung ist Gesundheit und Spaß! Bewegung ist für die positiven Effekte und die bessere Lebensqualität zuständig. Das ist pur-life. Sport ist für ein paar einzelne um berühmt zu werden und damit Geld zu verdienen (hat ja auch seine Berechtigung: in diesem Sinne, viel Freude beim Fußballgucken. Das mach ich heute auch).