Pflanzliches vs. tierisches Eiweiß

Ähnlichkeiten und Unterschiede von pflanzlichem und tierischem Eiweiß. Was ist Eiweiß eigentlich? Was ist der Chemical Score? Wie ist die Studienlage zu dem Thema?
Autor: Dr. Volker Zitzmann
Lesezeit: 11 Minuten
Habe ich gerade eine nette Mail einer Teilnehmerin bekommen, mit einer Frage, die häufig diskutiert wird und sicherlich viele beschäftigt. Pflanzliches oder tierisches Eiweiß, was ist besser? Daher heute ein ganzer NEWS Artikel darüber. Wie Sie sehen werden, man kann die Frage nicht einfach mit: das eine oder das andere ist besser, beantworten. Aber um Verwirrungen zu vermeiden und um die vielen Falschaussagen zu dem Thema erkennen zu können, muss man ein bisschen ausholen und kurz mal wieder an die Biochemie erinnern. Daher dieser Artikel. Die einen sagen tierisches Eiweiß wäre besser, die anderen sagen pflanzliches. Wie immer im Internet und den Medien mindesten 1 000 Meinungen zu dem Thema, aber selten was wissenschaftlich fundiertes. Eben nur Meinungen. Es gibt dazu aber auch gesichertes Wissen. Aber dazu habt ihr ja uns. Dann mal los:
Das Eiweiß, das unseren Körper aufbaut, besteht aus 21 Aminosäuren. Wir bestehen also hauptsächlich aus diesen 21 Aminosäuren. Acht davon sind essentiell, heißt müssen wir essen, also mit der Nahrung aufnehmen. Die anderen, kann der Körper aus den essentiellen Aminosäuren selbst herstellen.
Die 21 Aminosäuren: Alanin, Arginin, Asparagin, Asparaginsäure, Cystein, Glutamin, Glutaminsäure, Glycin, Histidin, Isoleucin, Leucin, Lysin, Methionin, Phenylalanin, Prolin, Serin, Threonin, Tryptophan, Tyrosin, Valin, Selenocystein
Davon sind 8 essentiell: Isoleucin, Leucin, Lysin, Methionin, Phenylalanin, Threonin, Tryptophan, Valin
Diese Aminosäuren sind in unterschiedlicher Konzentration in unserem Körper vorhanden. Auch in verschiedenen eiweißhaltigen Nahrungsmitteln sind diese in unterschiedlicher Konzentration vorhanden. Heißt, einige Nahrungsmittel enthalten eine ähnlichere Zusammensetzung der Aminosäuren wie sie in unserem Körper ist, als andere. Daraus hat sich der Begriff biologische Wertigkeit oder chemical Score (CS) entwickelt. Bei der biologischen Wertigkeit wurde dem Ei der Wert von 100 zugewiesen. Ist also ein Nahrungsmittel noch näher an unserem Körper dran, also ähnlicher als das Ei, ist der Wert über 100. Ist es weiter entfernt, also andere Aminosäuren als unser Körper, ist der Wert unter 100.
Beispiel:
Nahrungsmittel
 Biologische Wertigkeit
Molkeeiweiß
110
Ei
100
Rindfleisch
92
Hafer
60
Weizenmehl
59
Ist auch logisch. Unser Körper ist in der Zusammensetzung dem Rind ähnlicher als dem Hafer.
Man kann also schonmal gesichert sagen, dass die biologische Wertigkeit von tierischem Eiweiß deutlich höher als die biologische Wertigkeit von pflanzlichem Eiweiß liegt. Bei niedriger biologischer Wertigkeit muss man mehr Eiweiß zuführen, als bei hoher biologischer Wertigkeit um alle essentiellen Aminosäuren in ausreichender Menge zu erhalten.
Eine Aminosäure ist und bleibt eine Aminosäure. Das Molekül Tryptophan weiß nicht, ob es vom Rind, von der Sojabohne oder aus einer NEM-Kapsel kommt. Es bleibt das gleiche Molekül. Damit wäre die Frage von oben eigentlich theoretisch schon beantwortet. Reines tierisches Eiweiß ist hochwertiger als pflanzliches. Aber eben nur theoretisch. Das ist noch nicht die ganze Geschichte. Denn wir nehmen ja nicht immer nur das gereinigte Eiweiß aus den Nahrungsmitteln zu uns. Sondern häufig ganze Nahrungsmittel. Und da ist auch noch was anderes drin als Eiweiß. Denn warum kommt dann in einigen Studien heraus, dass der Verzehr von viel tierischem Eiweiß nachteiliger ist, als von pflanzlichem? Dafür gibt es sicherlich auch einige Gründe. Zunächst hat es nichts mit dem Eiweiß an sich zu tun, sondern mit dem ganzen Nahrungsmittel.
  • In solchen Studien werden häufig viel Fleischesser mit viel Gemüseessern verglichen. Dass Gemüse gesund ist, ist auch jedem klar. Es wird definitiv zu wenig Gemüse gegessen. Da sind eben viele Vitamine und sekundäre Pflanzenstoffe enthalten, die unserer Gesundheit zu Gute kommen. Viele Studien belegen eindeutig, dass ein hoher Gemüseverzehr der Gesundheit förderlich ist. Gerade viel Fleisch-Esser essen leider weniger Gemüse und allein daher schon kommen in den Studien nachteilige Ergebnisse für Fleischesser heraus. Logische Schlussfolgerung muss für ALLE lauten: mehr Gemüse essen.
  • Ein hoher Fleischkonsum kommt nicht nur häufig mit einem zu geringen Gemüsekonsum einher. Es liegt auch an der Qualität des Fleisches. Wir haben heutzutage fast alle einen Omega 3 Mangel. Wir wissen, dass Omega 3 der Gesundheit extrem förderlich ist. In der Natur sollten Tiere ebenfalls einen hohen Omega 3 Anteil haben. Wenn sie artgerecht und natürlich ernährt werden (1). Etwa grünes Blattgemüse, Gräser, Blätter etc. (2). Leider werden Tiere in der Massentierhaltung viel mit Mais gefüttert (reine Kohlenhydrate für schnelle Gewichtszunahme). Daher ist der Omega 3 Anteil im Fleisch von Tieren aus der Massentierhaltung deutlich niedriger. Dafür der Omega 6 Anteil höher. Das führt dann natürlich auch zu einer geringeren Omega 3 Versorgung der Konsumenten. Daher ist auch der Fischkonsum sehr zu empfehlen. Fische ernähren sich von grünen Algen und haben daher einen deutlich höheren Omega 3 Anteil. Tierisches Eiweiß sollte also aus einer möglichst natürlichen Umgebung kommen.Leider wird, wie so häufig in den Medien, pauschalisiert und falsch zusammengefasst. Es wird tierische Nahrung mit tierischem Eiweiß gleichgesetzt, ohne die Nebenprodukte im Fleisch zu berücksichtigen und vor allem ohne die Haltung der Tiere zu beachten. Tiere aus Massentierhaltung haben sicherlich durch die Fütterung keine gute Fettsäurezusammensetzung. Also hoher Omega 6 Anteil vs. niedrigem Omega 3 Anteil. Sicherlich nicht gut für unsere Gesundheit. In den Studien werden viel Fleischesser (= wenig-Gemüseesser) mit viel-Gemüseessern verglichen. Dass ein Großteil unserer Ernährung Gemüse sein sollte weiß auch jeder. Dass reichlich Gemüse unserer Gesundheit förderlich ist, muss man heutzutage nicht mehr erwähnen.
    Fazit: Tierisches Eiweiß hat eine höhere Wertigkeit als pflanzliches Eiweiß. Tierische Produkte aus Massentierhaltung sind nicht mehr das, was sie mal waren. Schlechte Ernährung der Tiere, Vitaminmängel, Antibiotika, Massenhaltung und Verarbeitung führen zu schlechten Nebenprodukten im tierischen Fleisch, vor allem zu viel Omega 6 und zu wenig Omega 3. Also, tierisches Eiweiß an sich ist nicht schlecht, aber die Massentierhaltung ist es. Das Eiweiß im Tier ist zwar hochwertig, die Fettsäurezusammensetzung und Nebenprodukte häufig leider nicht.
    Heißt: Gutes Fleisch ist heutzutage schwierig zu bekommen und wenn schon Fleisch, dann auf die Qualität und Herkunft achten: Bio / Weidehaltung / artgerechte Ernährung. Möglichst aus naturnaher Umgebung. Und eben genug Omega 3 aufnehmen, z. B. Fisch, Algen, Leinöl oder als Omega-3-Kapseln.Zusammenfassung:Gesichertes WISSEN:
    • tierisches Eiweiß und pflanzliches Eiweiß sind die gleichen Aminosäuren an sich. Die einzelne Aminosäure ist das gleiche Molekül, ob jetzt vom Rind oder aus der Sojabohne.
    • tierisches Eiweiß ist dem menschlichen Körper in der Aminosäurezusammensetzung ähnlicher als pflanzliches Eiweiß. Man spricht von biologischer Wertigkeit. Diese ist für tierisches Eiweiß höher
    • einige Studien zeigen, dass Menschen, die viel Fleisch (rotes Fleisch) essen, ein höheres Krankheitsrisiko haben, als die, die weniger davon essen. Warum das so ist, ist, gilt als wissenschaftlich noch nicht geklärt.
    • Fleisch, vor allem rotes Fleisch, aus Massentierhaltung ist heutzutage von schlechterer Qualität als früher, vor allem zu wenig Omega 3 Fettsäuren. Warum Omega 3 Fettsäuren so wichtig für die Gesundheit sind, können Sie nochmal im Artikel über
      Omega 3
      nachlesen.
    Vermutliches Wissen:
    • Dass einige Studien negative Ergebnisse für viel-Fleischesser (rotes Fleisch) ergeben, könnte an der häufig schlechteren Qualität des roten Fleisches liegen, vor allem ein geringerer Omega-3 Anteil. Aber auch an anderen Nebenprodukten aus der Massentierhaltung (Antibiotika, Wachstumshormone, Nitrite, Nitrate, etc.)
Gesicherte Falschaussagen:
  • Wenn von den Studien über rotes Fleisch berichtet wird, wird das rote Fleisch fälschlicherweise mit dem Begriff tierisches Eiweiß gleichgesetzt. Natürlich gibt es Übereinstimmungen, aber es ist nicht das gleiche: Fisch ist auch tierisches Eiweiß und hat bisher keine negativen, sondern viele positive Wirkungen in Studien zur Gesundheit ergeben.
  • Die Falschaussagen gehen sogar soweit, wie mir die Teilnehmerin mit der Frage geschrieben hat, dass behauptet wird, tierisches Eiweiß würde Krebszellen wachsen lassen. Natürlich vollkommener Unfug. Dass viel rotes Fleisch ein höheres Risiko für Dickdarmkrebs sein kann, kann ja logischerweise nicht an dem Eiweiß an sich liegen, denn wir wissen ja, die Aminosäure bleibt die gleiche Aminosäure, genau das gleiche Molekül, egal woher sie kommt. Aminosäuren lösen definitiv keinen Krebs aus. Wir bestehen aus Aminosäuren. Die Ursache ist noch nicht geklärt, aber wie oben angesprochen, könnte es eher am geringen Omega 3 liegen, oder daran, dass viel-Fleischesser zu wenig Gemüse essen. Denn wir WISSEN, dass ein hoher Gemüseverzehr vor Dickdarmkrebs schützt. Oder auch an den Nebenprodukten im Fleisch, vor allem im verarbeiteten Fleisch (Nitrite). Oder, oder, oder. Wissenschaftlich noch nicht geklärt.
  • Dass tierisches Eiweiß mit rotem Fleisch gleichgesetzt wird, ist und bleibt ein klarer Denkfehler. Denn tierisches Eiweiß ist auch Molkeeiweiß, Ei, Fisch, Quark. Und für diese Eiweißquellen gibt es KEINE negativen Studien. Im Gegenteil, ein hoher Fischkonsum wird mit einer deutlich erhöhten Gesundheit assoziiert.
PS: Neuere genauere Analysen, konnten auch zeigen, dass vor allem verarbeitetes rotes Fleisch negative Auswirkungen hat, während nicht-verarbeitetes Fleisch sogar das Dickdarmkrebsrisiko im Schnitt eher verminderte (3). Heißt, auch in der Verarbeitung (Nitrate/Nitrite, etc) könnte die Ursache in dem erhöhten Dickdarmkrebsrisiko von rotem Fleisch liegen. Diese eben genannte große Metaanalyse (3) konnte zeigen, dass nur vermehrte Mengen verarbeitetes rotes Fleisch mit einem erhöhten Dickdarmkrebsrisiko assoziiert ist.
Um die Frage vom Anfang nochmal aufzugreifen: Die Bezeichnung verarbeitetes rotes Fleisch ist nicht gleich der Bezeichnung tierisches Eiweiß. Diese Vereinfachungen und Pauschalisierungen führen leider immer wieder dazu, dass wissenschaftliche Ergebnisse konterkariert werden. So entstehen in den Medien Fake-News. Wir jedenfalls, wollen hier immer wissenschaftlich korrekt bleiben. Das, was wirklich wissenschaftlich gesichert ist von dem trennen, was vermutet und geglaubt wird. Für unsere Gesundheit wollen wir nicht glauben, sondern WISSEN.
Was wir wissen:
  • Tierisches Eiweiß hat eine höhere biologische Wertigkeit. An sich gibt es keine allgemein negativen Auswirkungen von tierischem Eiweiß.
  • Für verarbeitetes rotes Fleisch gibt es Hinweise in Studien, dass es negative Auswirkungen auf die Gesundheit haben könnte, im Sinne eines erhöhten Risikos für Colontumoren.
  • Für tierisches Eiweiß in Form von Fisch, Ei, Magerquark, Molkeneiweiß gibt es keine negativen Hinweise. Eher positive, vor allem für Fisch (man denke an das Omega 3).
  • Aus den genannten Gründen und aufgrund der Studienlage wird von vielen Ernährungsgesellschaften häufig die sogenannte Ovo-Lacto-Pesco-Vegetarische Ernährung als besonders gesund empfohlen. Also Ei, Milchprodukte, Fisch und vor allem Gemüse. Aber eben kein (rotes) Fleisch.
Persönliche Anmerkung: Da ich ja wieder weiß was gleich in den Kommentaren kommt, wenn man so ein Thema abhandelt, eine Bitte: es ging in diesem Artikel um die Art und Herkunft von verschiedenen Eiweißquellen und was Eiweiß eigentlich ist: Aminosäuren. Es ging um den Unterschied oder eher die Ähnlichkeit von pflanzlichem und tierischem EIWEIß. Heißt eigentlich um die biologische Wertigkeit. Um das was man wissenschaftlich aus Studien weiß. Um naturwissenschaftliches, biochemisches Wissen. Nicht um Meinungen. Nicht um Ethik, Tierschutz und Philosophie (wobei das auch wichtig ist, aber hier das Thema ins unendliche strecken würde). Nicht um den Unterschied von ganzen Ernährungsgewohnheiten. Es geht nicht um vegane oder nicht-vegane Ernährung. Es geht nicht darum, welche Ernährungsphilosophie besser ist. Man kann natürlich auch nur pflanzliches Eiweiß zu sich nehmen. Man braucht davon eben etwas mehr, aufgrund der geringeren biologischen Wertigkeit. Aber das macht nichts, man kann ja auch einfach mehr davon essen. Es gibt auch da gute Möglichkeiten, wie z.B. das Reiseiweißpulver, Sojaeiweißpulver oder auch Aminosäuren pur, wenn einzelne zu gering im Blut sind und man gezielt einzelne auffüllen möchte. Was die anderen Inhaltsstoffe von Fleisch angeht, auch die kann man natürlich anderweitig zuführen, z. B. als NEM/Kapseln: insbesondere B-Vitamine, Zink, Eisen, Carnitin, Coenzym Q10, etc. Völlig in Ordnung. Wir leben 2018. Heutzutage kann man auch vegan essen (aus Tierschutzgründen sehr löblich) und fehlende Nährstoffe zuführen. Man muss nur sicherlich einige Substanzen mit Nahrungsergänzungsmitteln auffüllen (wir wissen, dass mit rein veganer Ernährung die ausreichende Zufuhr vieler Mikronährstoffe nicht gewährleistet, bzw. sehr schwierig ist). Was wer wie und wo isst, ist jedem logischerweise selbst überlassen. Egal was man isst, man sollte für die Gesundheit darauf achten, keinen Mangel an einem der 47 essentiellen Nährstoffe zu erleiden. Nur darum geht es. Wie man an die 47 essentiellen Nährstoffe in ausreichender Menge täglich kommt, ist sowieso jedem selbst überlassen. Und wenn die Nahrung zufällig nicht all das liefert, was wir täglich benötigen: Wir können heutzutage die 47 essentiellen Nährstoffe im Blut messen und die Mängel gezielt mit Nahrungsergänzungsmitteln auffüllen.