Vitamin C und Nierensteine
Woher kommen die Aussagen über Nierensteine durch Vitamin C? Was ist dran? Hier ein paar wissenschaftliche Daten darüber und Informationen über Vitamin C und Nierensteinrisiko.
Autor: Dr. Volker Zitzmann
Lesezeit: 9 Minuten
Man hört ja immer wieder mal gerne in den Medien, dass zuviel Vitamine auch schlecht sein können. Gerne wird dann der Zusammenhang von Vitamin C und Nierensteinen angebracht. Leider wie immer in den Medien zu pauschal und undifferenziert. Woher kommt das und was hat es damit auf sich?
Zunächst: einige Menschen neigen zu Nierensteinen. Das kann genetische Faktoren (Stone formers und Non-Stone Formers,
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), aber auch Ernährungsgewohnheiten als Ursache haben. Häufige Nierensteine sind Calcium-Oxalat-Nierensteine. Daher kann eine erhöhte Oxalat-Ausscheidung mit einem erhöhten Risiko für Nierensteine einhergehen. Oxalat ist in vielen Lebensmitteln enthalten, vor allem in pflanzlichen Lebensmitteln, besonders viel in Spinat, Walnüssen, Rhabarber, Tee, Rote Beete und vielen anderen. Diese enthalten je nach Herkunft bis ca. 1200 mg Oxalat pro 100 Gramm Lebensmittel 2
. Es ist bekannt, dass eine vegetarische Ernährungsform eine erhöhte Oxalatausscheidung macht.Die normale tägliche Oxalatausscheidung beträgt ca. 22 mg Oxalat im Urin.
Eine Studie an gesunden Männern konnte z. B. zeigen, dass 4 Gramm grüner Tee die Oxalatausscheidung im Urin von 22 mg auf 30 mg steigern konnte
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.Vitamin C wird zu einem geringen Teil zu Oxalat abgebaut und mit dem Urin ausgeschieden. Daher steigt die Oxalatausscheidung mit zunehmender Vitamin C Aufnahme (genau wie unter hoher Spinat-Aufnahme). Daher kommt die Vermutung, Vitamin C könne das Risiko für Nierensteine erhöhen.
In dieser Studie (4) wurde das genau nachgemessen. Unter eine Dosis von 1000 mg Vitamin C stieg die Oxalatausscheidung im 24-h-Urin auf 40 mg an. Also von normalerweise 20mg Oxalatausscheidung auf 40 mg pro Tag. Nochmal zum Vergleich: Spinat enthalt bis zu 1145 mg Oxalat pro 100 Gramm.
Vitamin C wird also u. a. zu Oxalat abgebaut. Weniger als 0,5 % nach einer hohen intravenösen Vitamin C Dosis (bei 100 Gramm!!!, nicht Milligramm) (1). Hier die Zahlen aus der Studie:
Ausscheidung von Oxalat bei 0,2 g/KG Vitamin C beträgt: 27 mg
Bei 1,5 g/Kg Vitamin C (also intravenös 100 GRAMM!!!) beträgt die Oxalatausscheidung: 81 mg
Weniger als 0,5 % einer hohen Vitamin C Infusion werden in dieser Studie in Oxalat umgewandelt.
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So, nun haben wir ein paar Zahlen und Daten und wissen wovon wir eigentlich beim Vitamin C und Nierensteinen reden: Ja, Vitamin C erhöht die Oxalat-Ausscheidung im Urin. So auch grüner Tee und Spinat. Bisher wissen wir also: theoretisch könnte es sein, dass Vitamin C das Risiko für Nierensteine erhöht. Was sagen nun große Kohortenstudien dazu?
Da gibt es nun die beiden große Kohortenstudien:
NHS = Nurses Health Study
HPFS = Health Professionals follow-up Study
Und da gibt es auch Zahlen zu unserem Thema: Vitamin C Einnahme und Nierensteinrisiko:
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Das Risiko für Nierensteine wurde in diesen beiden Studien als Hazard Ratio (HR) angegeben. HR von 1 ist der Normwert. HR von 1,1 würde also eine 10% höhere Wahrscheinlichkeit für das Auftreten eines Ereignisses bedeuten.
Vitamin C Dosis
Keine Einnahme
<500mg
500-999mg
>1000mg
Studie
HR: NHS
1,00
0,90
0,88
0,79
HR: HPFS
1,00
0,83
0,82
0,98
Am J Kidney Dis.
2016 Mar;67(3):400-7. doi: 10.1053/j.ajkd.2015.09.005. Epub 2015 Oct 14.Total, Dietary, and Supplemental Vitamin C Intake and Risk of Incident Kidney Stones.Ferraro PM
1, Curhan GC
2, Gambaro G
3, Taylor EN
4Man sieht, die HR sinkt mit zunehmender Vitamin C Dosis. Bei den Frauen, also in der NHS, war die höchste Vitamin C Dosis mit einer 21 % geringeren Wahrscheinlichkeit von Nierensteinen assoziiert. Bei den Männern (HPFS Studie) um 2 % vermindert. Wie jetzt, fragen wir uns alle? Weniger Nierensteine je mehr Vitamin C? Das sind die Zahlen aus der Studie. In der Tabelle oben, die alterskorrigierte Hazard Ratio.
Woher kommt jetzt aber die Aussage, Vitamin C würde das Risiko für Nierensteine erhöhen?
Es wurde eine andere Berechnung, die multivariable Hazard Ratio angewendet. Hierbei werden mehrere Einflussfaktoren mit einberechnet.
In dieser zweiten Berechnung sahen die Zahlen wie folgt aus:
Vitamin C Dosis
Keine Einnahme
<500mg
500-999mg
>1000mg
Studie
Multivariable HR: NHS
1,00
0,98
1,01
0,90
Multivariable HR: HPFS
1,00
0,90
0,98
1,19
Am J Kidney Dis.
2016 Mar;67(3):400-7. doi: 10.1053/j.ajkd.2015.09.005. Epub 2015 Oct 14.Total, Dietary, and Supplemental Vitamin C Intake and Risk of Incident Kidney Stones.Ferraro PM
1, Curhan GC
2, Gambaro G
3, Taylor EN
4Man sieht, hier in der zweiten Berechnung, nur in einer einzigen Spalte, nur bei Männern mit Vitamin C Einnahme von > 1000 mg täglich kam es laut dieser Berechnung zu einem 1,19-fachen Risiko für Nierensteine. Man bedenke: die Studie enthielt 51529 Männer. Davon entwickelten 1853 Nierensteine. Heißt das Gesamt-Risiko für Nierensteine lag bei ca. 3,6 %. Die Risikoerhöhung von 19 % oder HR 1,19 ließ das Nierensteinrisiko rechnerisch also auf 4,3 % ansteigen. Heißt, das Risiko für die Entwicklung von Nierensteinen wäre laut dieser Studie und dieser Berechnung um insgesamt 0,7 % gestiegen. Aber nur bei Männern. Bei Frauen zeigte sich durchweg ein gesunkenes Nierensteinrisiko durch Vitamin C. Interessant: die durchschnittliche Trinkmenge in beiden Studien lag bei 2 Liter pro Tag. Wir wissen, dass das Nierensteinrisiko mit zunehmender Trinkmenge sinkt. Eine Metaanalyse konnte zeigen, dass das Nierensteinrisiko mit erhöhter Trinkmenge um 60 % reduziert wird (6). Eine andere Metaanalyse konnte zeigen, dass je 500 ml zusätzliche Wassertrinkmenge das Risiko jeweils um 7% gesenkt wird.
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Kurz gesagt, viel Trinken, weniger Nierensteine. Es hat schon seinen Sinn, dass wir nicht müde werden, immer und immer wieder auf ausreichend Wasser hinzuweisen.
Jetzt kam in der einen Spalte nach multivariabler HR ein erhöhtes Risiko heraus. Welche Variable senkt das Risiko von Nierensteinen? Viel Trinken. Rechnet man also die Menschen mit einer hohen Trinkmenge raus, ja siehe da, welch Überraschung, das Nierenstein Risiko war erhöht. Man kann aus so einer großen Menge an Zahlen sehr viel berechnen. Eigentlich immer das was man möchte. Daher der gute alte Spruch: „Glaube keiner Statistik, die du nicht selbst gefälscht hast.“ Auch kann man fraglich korrekte Zahlen so oder so darstellen: 19 % erhöhtes Risiko. 19 % wovon? Vom relativen Risiko. Das Gesamtrisiko ist aber um 0,7 % gestiegen. 19 % hört sich natürlich besser an, als 0,7 %. Bei Wahrscheinlichkeiten und Prozentangaben kann man sehr, sehr viel manipulieren. Somit ist nun das Endergebnis der Studie, der letzte Satz in der Veröffentlichung, Vitamin C erhöhe das Risiko von Nierensteinen bei Männern. Dieser eine Satz ist nun das was hängen bleibt. Was Journalisten dann in der Allgemeinpresse veröffentlichen. Auch das was die meisten meiner Kollegen mal irgendwo gelesen haben und dann meinen zu WISSEN. Lassen Sie mich mal kurz nachdenken, wie viele meiner ärztlichen Kollegen die ich kenne, dieses Wissen was wir gerade erarbeitet haben, die ganzen Hintergründe und die Studienlage, wirklich genau kennen. Moment, ganz kurz, ich überlege…. Ein bis Zwei! Aber jeder meint zu WISSEN, das Vitamin C ja schlecht für die Nieren sei. Ohne diese Daten genau zu kenne, ohne alle Seiten betrachtet zu haben.
Ja, Menschen mit erhöhtem Risiko für Nierensteine (die schonmal welche hatten oder in der Familie vermehrt vorhanden sind) könnten vielleicht (die eine Zahl aus der Studie ist noch kein gesichertes Wissen), ein erhöhtes Risiko für das Auftreten von Nierensteinen haben. Wenn sie langfristig hochdosiert Vitamin C einnehmen, wenig trinken und genetisch prädisponiert sind. Diejenigen sollten aber mehr Sorge vor Spinat und Rhabarber (siehe oben) als vor Vitamin C haben.
Was lernen wir also aus den gesammelten Informationen? Man muss sich erst genau informieren, das Wissen und die Daten sammeln, beurteilen und dann entscheiden. Wir werden also nicht unsere nierenschwachen älteren Herrschaften die maximal 1 - 2 Tassen Tee am Tag trinken mit 3 Gramm Vitamin C täglich füttern.
Dass Vitamin C viele vorteilhafte Eigenschaften besitzt, haben wir schon oft beschrieben. Sei es besseres Immunsystem, Kollagenbildung, bessere Wundheilung, vermindertes Krebsrisiko, weniger Infekte, weniger Zahnausfall (man denke an Skorbut auch in leichten Formen), weniger brüchige Gefäße (Hautblutungen bei Skorbut) und vieles mehr.
Wir erheben bei pur-life nie, niemals den Zeigefinger. Und sagen nie, "man soll", "du musst", "nur so würde es gehen" und Mahnen auch niemals. Wir möchten einzig und allein Wissen weitergeben. Jeder muss und soll für sich selbst entscheiden. Aber entscheiden kann man nur richtig, wenn man genug Informationen darüber hat. Jeder sollte sich selbst informieren und für sich entscheiden. Beim Informieren wollen wir helfen. Es gibt kein richtig oder falsch. Wir sagen höchstens, wie wir das selbst machen. Ich für mich persönlich habe entschieden: habe ich mehr Sorgen vor schlechtem Immunsystem, gestörte Kollagenbildung, schlechte Wundheilung, erhöhtes Krebsrisiko, mehr Infekte, mehr Zahnausfall, mehr brüchige Gefäße…… oder vor fraglichen 0,7 % erhöhtem Risiko für Nierensteine? Sie dürfen einmal raten😊
Viel besser als jede Statistik sind für mich eure persönlichen Erfahrungen? Wie handhabt ihr es? Ich freue mich auf spannende Kommentare.